Vater, vergib ihnen – Die radikale Herausforderung der Feindesliebe

Vater, vergib ihnen - Die radikale Herausforderung der Feindesliebe

Warum Jesu schwerste Lehre auch seine befreiendste ist Lesezeit: ca. 5-6 Minuten
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Eines der bekanntesten Worte Jesu - ein Satz, der immer wieder zentraler Bestandteil unserer Feierlichkeiten ist. Aber wenn ich ehrlich bin: Verstehen wir wirklich, was Jesus hier sagt? Und vor allem: Was erwartet er von uns?

Das Paradox am Kreuz

Schauen wir zurück auf das, was geschehen ist: Sie nehmen Jesus gefangen, verspotten ihn, drücken ihm eine Dornenkrone auf den Kopf, geißeln ihn brutal und lassen ihn sein eigenes Kreuz tragen.

Ja, sie wussten nicht, was sie taten - und doch wussten sie genau, was sie taten. Sie wollten ihn umbringen. Bewusst. Gezielt. Grausam.

Und ausgerechnet in diesem Moment, im schwierigsten Augenblick seines Lebens auf dieser Erde, spricht Jesus aus tiefstem Herzen: "Vater, vergib ihnen."

Das ist nicht einfach nur ein schöner Satz für Gottesdienste. Das ist gelebte Feindesliebe in ihrer radikalsten, kompromisslosesten Form.

Meine ehrliche Reaktion

Ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Wenn ich dort hängen würde, jeden Atemzug mit unerträglichen Schmerzen erkaufen müsste, mich Zentimeter für Zentimeter hochziehen müsste, um überhaupt Luft zu bekommen - ich glaube, ich würde eher schreien: "Vater, sende die Engel und vernichte sie!"

Doch Jesus ist anders. Grundlegend anders.

Seine Liebe zu uns, seine Liebe sogar zu seinen Feinden - genau das ist es, was uns letztendlich rettet und uns wieder mit ihm versöhnt.

Die größte Herausforderung der Nachfolge

Die Feindesliebe und das Beten für die, die uns verfolgen - das ist für mich mit das Herausforderndste, vielleicht sogar das Herausforderndste überhaupt, was Jesus uns zumutet.

Einige Zeit vor seinem Tod hatte Jesus seinen Jüngern diese radikale Lebensweise beigebracht: "Liebt eure Feinde und betet für diejenigen, die euch verfolgen."

In unserer Natur liegt es eher, zu verfluchen, zu schimpfen, zurückzuschlagen - alles, nur nicht zu lieben. Doch genau das fordert Jesus von uns.

Was bedeutet Feindesliebe konkret?

Zu lieben bedeutet, sich zu kümmern. Es bedeutet, dass der Feind einem plötzlich wichtig ist - seine Anliegen, sein Wohlergehen, sein Leben. Das ist keine oberflächliche Nettigkeit, sondern echte, tiefe Anteilnahme.

Und dann sagt Jesus noch etwas, das mir den Atem raubt: Betet für sie. Betet, dass es ihnen gut geht. Betet, dass sie Erfolg haben. Betet, dass Gott ihnen Gutes tut.

Für mich ist das extrem herausfordernd. Und wenn wir ehrlich in diese Welt hineinschauen, glaube ich, dass dies auch in unserer Zeit eine der härtesten Aufgaben ist, die Jesus denjenigen stellt, die ihm nachfolgen.

Was bedeutet "für sie beten"?

Für unsere Feinde zu beten bedeutet, dass wir in unserer Zeit mit Gott bewusst an unsere Feinde denken. Dass wir für sie beten, dass Gott sie freisetzt und verändert.

Wichtig zu verstehen: Für sie zu beten bedeutet nicht, dass wir Gerechtigkeit aus dem Weg gehen oder Unrecht ignorieren. Es bedeutet, dass wir sie mit all dem, was ist, vor Gott bringen - in Ehrlichkeit und gleichzeitig in Liebe.

Was Gebet mit uns macht

Hier ist die andere Seite der Medaille: Das Beten für unsere Feinde ist nicht nur gut für sie - es ist auch das, was uns freisetzt, was uns gut tut und heilt.

Wir sollten nicht das giftige Wasser des schlechten Redens, des Fluchens und des bösen Wünschens über unsere Feinde trinken. Was uns frei macht und innerlich heilt, ist das Gebet für diese Menschen.

Gebet ist eine der stärksten Ressourcen, die wir als Christen haben. Und Jesus sagt hier in aller Deutlichkeit: Setz es ein, tue Gutes damit - sogar für diejenigen, die dich verfolgen und dir schaden wollen.

Die richtige Haltung

Unsere Feinde zu lieben und für sie zu beten bedeutet nicht, dass wir vergessen, warum sie Feinde sind oder dass wir keine Vergebung und Versöhnung brauchen.

Es bedeutet vielmehr, dass wir ein weiches Herz für sie bewahren, ihnen Gutes wünschen und dafür beten, dass sie den Willen Gottes für ihr Leben erkennen können.

Ein kraftvolles Zeugnis

Ein kraftvolles Zeugnis

Ein guter Freund von mir, Pastor Dana Luri, war sowohl im Irak als auch in Jordanien im Gefängnis, weil er Jesus nachfolgte und andere Muslime einlud, dasselbe zu tun. In der Zelle im Irak erlebte er Unvorstellbares: Sie schlugen ihn mit Elektrokabeln immer wieder bis zur Bewusstlosigkeit.

Als er das erste Mal wieder zu sich kam, schaute er seine Peiniger an und sagte: "Ich vergebe euch und ich habe euch lieb."

Er erzählte mir später, dass dieser Satz nicht unbedingt das war, was er in diesem Moment fühlte. Aber er wusste tief in seinem Inneren: Das ist jetzt zu tun. Lieben und vergeben - trotz allem.

Was er in diesem Moment macht, ist kraftvoll und einfach zugleich: Er lehnt sich an Jesus an, umarmt ihn sozusagen und sagt: "Wenn du deine Feinde liebst und ihnen vergibst, dann tue ich das auch."

Ich entscheide mich. Ich bin bereit zu lieben und zu vergeben.

Bereitschaft statt Perfektion

Miroslav Volf, der selbst Kriegsverbrechen erlebt hat, schreibt in seinem Buch etwas, das mich tief berührt:

Opfer sollten in erster Linie eine Haltung haben mit einer Bereitschaft zur Umarmung, statt einer sofortigen Umarmung, um Raum für Gerechtigkeit zu lassen.

Quelle: Miroslav Volf, "Exclusion and Embrace: A Theological Exploration of Identity, Otherness, and Reconciliation" (1996)

Die Bereitschaft zu lieben und zu vergeben - genau das ist es, was in uns Räume öffnet, um heil und gesund zu werden. Es geht nicht um Perfektion, sondern um die innere Ausrichtung unseres Herzens.

Und hier kommt etwas Entscheidendes: Diese Bereitschaft, diesen Willen - den können wir uns nicht selbst geben. Das ist ein Geschenk, das Jesus uns schenken muss. Jesus zu umarmen bedeutet, unsere eigene Schwäche und Unzulänglichkeit zu erkennen. Es bedeutet zu sagen: "Jesus, ich kann das nicht aus eigener Kraft. Schenk du mir die Bereitschaft. Schenk du mir den Willen für deinen Weg."

Wenn wir uns an Jesus anlehnen, bekommen wir von ihm die Kraft und den Willen, das scheinbar Unmögliche zu tun - unsere Feinde zu lieben.

Feindesliebe durch die Geschichte - Franz und der Sultan

Diese mutige Liebe für Feinde ist keine moderne Erfindung. Im Jahr 1219, mitten im Fünften Kreuzzug, wagte Franz von Assisi etwas Unvorstellbares.

Während christliche und muslimische Armeen sich bei Damiette in Ägypten brutal bekämpften, überquerte Franz unbewaffnet die Frontlinien. Sein Ziel: Sultan al-Kamil persönlich zu treffen - nicht um zu kämpfen, sondern um von Christus zu erzählen.

Die Kreuzfahrer hielten ihn für verrückt. Muslimische Soldaten nahmen ihn gefangen und brachten ihn zum Sultan. Doch statt ihn töten zu lassen, sprach der Sultan mehrere Tage mit ihm über Gott und den Glauben.

Franz begegnete ihm mit Respekt und Liebe, nicht mit Hass. Der Sultan war so beeindruckt von seiner Sanftmut, dass er ihn ehrenvoll ziehen ließ und ihn sogar bat, für ihn zu beten.

Mitten im Krieg suchte Franz nicht den Sieg, sondern die Begegnung. Er sah im Sultan keinen Feind, sondern einen Menschen, den Gott liebt.

Das ist Feindesliebe: mutige Sanftmut.

Wer sind unsere Feinde

Wer sind unsere Feinde?

Doch jetzt wird's konkret: Wer sind eigentlich unsere Feinde?

Wir leben in einer Welt, die sich tolerant nennt. Also haben wir eigentlich keine Feinde, oder? Die Realität sieht oft anders aus.

Vielleicht ist es der Nachbar, der schon seit Jahren seinen Baum auf dein Grundstück wuchern lässt und trotz aller Bitten nichts unternimmt. Vielleicht ist es der Kollege, der durch unlautere Mittel auf der Karriereleiter an dir vorbeizieht. Oder vielleicht ist es die eine Person, von der du genau weißt, dass sie schlecht über dich redet und dir nichts Gutes wünscht.

Ich weiß nicht, wer deine Feinde sind oder mit welchen Menschen du gerade im Konflikt stehst. Aber eins weiß ich sicher:

Jesus fordert uns heraus

Jesus fordert uns heraus, anders zu sein

Liebe den, der dir Schlechtes wünscht. Liebe den, der dich herausfordert und überfordert. Liebe den, der dich hintergeht. Liebe sie und bete für sie.

Wenn wir als Jesu-Nachfolger so in dieser Zeit leben, können wir einen echten Unterschied machen - nicht durch große Gesten, sondern durch die stille Revolution eines liebenden Herzens.

Wichtiger Disclaimer

Lass mich an dieser Stelle etwas klarstellen: Beim Lieben der Feinde und beim Vergeben geht es nicht darum, Dinge unter den Tisch zu kehren oder so zu tun, als wäre nichts geschehen.

Zu lieben und zu vergeben ist vielmehr der erste, entscheidende Schritt in einem Prozess. Ein Prozess, in dem Heilung stattfinden kann, in dem echte Versöhnung möglich wird und in dem auch Gerechtigkeit ihren Platz hat.

Dein nächster Schritt

Vielleicht nimmst du dir jetzt gerade einen Moment Zeit. Halt inne und frag dich: Wer ist mein "Feind"? Mit wem stehe ich im Konflikt?

Und dann wage den ersten Schritt - nicht aus eigener Kraft, sondern in der Kraft Jesu:

Bringe diese Person im Gebet vor Gott. Bitte ihn um ein weiches Herz für diesen Menschen. Sei bereit zur Liebe und Vergebung - auch wenn das Gefühl vielleicht noch nicht da ist.

Das ist nicht einfach. Das ist nicht natürlich. Das geht gegen alles in uns.

Aber es ist der Weg Jesu. Und es ist der Weg, der nicht nur anderen zugute kommt, sondern der auch uns selbst frei macht.

Wie gehst du mit der Herausforderung der Feindesliebe um? Hast du schon erlebt, wie Gebet für "Feinde" dich selbst verändert hat? Teile gerne deine Gedanken in den Kommentaren!

Jesus, lehre uns zu lieben wie du.

Bildernachweis: Erstellt mit Canva Magic Studio

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